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Der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara verweigern seit 1976 Marokko, Mauretanien und die UNO das Recht auf Selbstbestimmung

Westsahara – Seit einem halben Jahrhundert im Stich gelassen

Von Wolfgang Mayr

Die Siemens-Windräder des Foum el Oued-Windparks liefern 95 Prozent der Energie, die für den Abbau des Phosphats aus der BouCraa-Mine und dessen Transport auf dem 100 Kilometer langen Förderband (unten rechts) benötigt wird. Sie tragen damit auch zur völkerrechtswidrigen Ausbeutung der Bodenschätze der Westsahara durch die Besatzungsmacht Marokko bei. Foto: © Mohamed Dchira

Frankreich ließ vor einem Jahr wissen, dass Paris die marokkanische Annexion der Westsahara anerkennt. Bereits 2023 teilte Israel dem marokkanischen König mit, seine Souveränität über die besetzte Westsahara zu akzeptieren. Die USA vollzogen diesen Schritt bereits 2020.
Damit wird die illegale Besetzung der Westsahara, bis 1975 spanische Kolonie, durch Marokko legalisiert. 1976 besetzten marokkanischen Truppen die südlich gelegene Westsahara, mit der Ansiedlung von marokkanischen Familien schafft das Königreich Fakten, sollen die Sahrauis minorisiert, zur Minderheit im eigenen Land werden.

Mehr als die Hälfte der 600.000 Einwohner:innen der Westsahara (Schätzung 2019) sind marokkanische Araber und arabisierte Berber, Imazighen. Hinzu kommen 180.000 Angehörige der marokkanischen Besatzungsarmee.
Knapp mehr als 100.000 Sahrauis leben noch in der marokkanisch besetzten Westsahara. Zehntausende sahraurische Flüchtlinge, die Befreiungsbewegung Polisario schätzt sie auf 200.000, leben in fünf Lagern um das algerische Tindouf. Die algerischen Behörden beziffern die Zahl auf 165.000, die UNHCR bei 90.000.

Die Westsahara, am Rande des nordwestlichen Afrikas, befindet sich auch politisch in einer Außenseiter-Dasein. Die Westsahara ist nicht auf der Agenda der Weltöffentlichkeit, ist ein vergessener “Konflikt”.

Kolonialmacht Marokko

Zwei Drittel der Westsahara sind unter marokkanischer Kontrolle, darunter der größte Teil der Atlantikküste und die Phosphatvorkommen, die mit der Fischerei die wichtigste wirtschaftliche Ressource sind.

Die in 1970er Jahren gegründete antikolonialistische Polisario-Front kontrolliert die restlichen 20 Prozent, meist Wüsten entlang der Grenze zu Mauretanien und Algerien.

Marokko ging brutal gegen die Polisario-Partisanen und gegen die Sahrauis vor, die Sicherheitskräfte folterten, mordeten oder vertrieben angebliche und tatsächliche Polisario Anhänger sowie Zivilpersonen.

Die spanische Solidaritätsbewegung für eine unabhängige Westsahara forderte die UNO auf, die Westsahara einer UN-Übergangsverwaltung zu unterstellen. Vorbild Osttimor, mit weitreichenden Befugnissen, um die von Indonesien besetzte ehemalige portugiesische Kolonie zu dekolonisieren. Ein Vorschlag auf der Grundlage eines Präzedenzfalles. Die UNO blieb aber inaktiv und verweis auf das Madrider Dreiparteienabkommens von 1975, mit dem die “Verwaltung” der Westsahara von Spanien auf Marokko und Mauretanien übertragen wurde.

Demokratische Arabische Republik Sahara

Die Polsario reagierte am 27. Februar 1976 mit der Proklamation für die Westsahara und rief die Demokratische Arabische Republik Sahara aus. Die in die Westsahara eingedrungene marokkanische Armee marodierte, die Polisario versuchte die Sahrauis zu schützen. Die militärischen Auseinandersetzungen hielten bis 1991 an und wurde mit einem Waffenstillstand beendet. Im marokkanisch besetzten Land herrscht Friedhofsruhe.

Die UNO überwacht den Waffenstillstand und sollte ein Referendum über die Selbstbestimmung organisieren. Das für 1992 geplante Referendum wurde auf 1998 verschoben, aber nicht abgehalten. Marokko und die Polisario konnten sich nicht darauf einigen, wer am Referendum teilnehmen darf.
Die Polisario wollte nur Bewohner:innen und deren Nachkommen abstimmen lassen, die bei der letzten spanischen Volkszählung von 1974 registriert waren. Marokko hingegen auch seine Staatsbürger und deren Nachfahren, die sich seit 1975 in der Westsahara “niedergelassen” haben. Sie stellen inzwischen die Bevölkerungsmehrheit.

Autonomie für die Westsahara?

Wahrscheinlich würde deshalb ein Referendum zugunsten Marokkos ausgehen. Trotzdem lehnt Marokko ein Selbstbestimmungsreferendum ab und wirbt seit 2006 für eine autonome Westsahara. Für den Südtiroler Autonomie-Experten und Sozialwissenschaftler Thomas Benedikter eine überlegenswerte Option, Voraussetzung, die Autonomie muss international abgesichert und demokratisch legitimiert sein. Klartext: Die Sahrauis müssen der Autonomie zustimmen.

Bei den Manhasset-Verhandlungen 2007-2008 warb Marokko für Autonomie, die Polisario hingegen lehnt Referenden, die keine Unabhängigkeitsoption beinhalteten, strikt ab.

Die marokkanische Autonomie-Angebote sind wenig glaubwürdig. Die Besatzungsarmee geht nämlich konsequent gegen friedlichen Protest vor, wie 1999-2000, 2005 und 2010-2011 (Gdeim Izik).

Im November 2020 besetzte die marokkanische Armee im Süden der Westsahara eine Straße, die die Region mit Mauretanien verbindet. Die Polisario kündigte deshalb den Waffenstillstand von 1991 auf und die Fortsetzung des Befreiungskrieges.

EuGH gegen Marokko

Im September 2021 annullierte das Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) das EU-Marokko-Abkommen zu Handel und Fischerei. Begründung, das Abkommen zielte auch auf die Rohstoffe in der Westsahara ab. Für die Richter:innen nicht Rechtens, weil die “Zustimmung des Volkes der Westsahara” fehlt.

Dieses Urteil begrüßt die Organisation Western Sahara Resource Watch als “bedeutenden Sieg für das Volk der Westsahara”. Seit Jahrzehnten werden die Anliegen der Bewohner der Westsahara von der marokkanischen Besatzungsmacht ignoriert und an den Rand gedrängt, erinnert WS-Resource Watch. Der EuGH stellte unmissverständlich klar, es muss endlich mit den Menschen und nicht über sie geredet und entschieden werden.

2022 erklärte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, das marokkanische Autonomieprojekt zu unterstützen. Wie Spanien, die alte Kolonialmacht auch. Also kein Selbstbestimmungsreferendum.

Detail am Rande, in der Wüste der Westsahara sind auch deutsche Unternehmen “aktiv”, Siemens samt Tochterunternehmen mit einem Windpark. Der Kampf um Eigenständigkeit geht weiter, sagte ein Polisario-Vertreter 2024 auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin.

Westsahara: Sahrauis, Polisario, SADR

Die Polisario ist 1980 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen als legitime Vertretung des sahrauischen Volkes anerkannt worden. Die von der Polisario 1976 ausgerufene Demokratische Arabische Republik Sahraui beansprucht die Souveränität über die gesamte Westsahara. Die gesetzgebende Kammer ist der Sahrauische Nationalrat der alle vier Jahre gewählt wird. 49 Staaten pflegen diplomatische Beziehungen zur sahrauischen Phantom-Republik, mehr als 45 Staaten haben die Anerkennung zurückgezogen, eingefroren oder ausgesetzt. Die SADR ist seit 1982 Vollmitglied der Afrikanischen Union.

Hassaniya

Die Sprache der Sahraui ist Hassaniya-Arabisch, eine Varietät des Maghrebinischen mit Einflüssen aus dem Amazigh, Wolof und Spanisch. Neben der Westsahara wird Hassaniya auch in Mauretanien, im äußersten Süden Marokkos, im Südwesten Algeriens sowie im Norden Malis und Senegal gesprochen. Hassaniya unterscheidet sich von Darija, der arabischen Varietät, die hauptsächlich in Marokko gesprochen wird.

Nationale Identität

Die moderne nationale Identität des sahrauischen Volkes entstand im 20. Jahrhundert, auch als Folge der spanischen Kolonialisierung des Territoriums.
Seit dem 17. Jahrhundert entwickelten sich in der Westsahara und in Mauretanien eigenständige Gesellschaften, die ihre Wurzeln sowohl in den Amazigh als auch in den arabischen Kulturen haben. Die spanische Kolonie Sahara zerbrach mit der Grenzziehung ein einheitliches Territorium, aber auch die soziale hierarchische Ordnung der indigenen Bevölkerung. Die Sahrauis unterwarfen sich der spanischen Kolonialmacht und übernahmen von den Spaniern das Konzept der Nation sowie der modernen nationalen Bewegung.

In den 1960er Jahren entwickelte sich der sahrauische Nationalismus, Muhammad Bassiri mobilisierte gegen die spanische Kolonialregierung, der Protest mündete 1970 in den Zemla-Aufstand. In den 1970er Jahren entstanden aus den antikolonialistischen Oppositionsgruppen die Polisario-Front, mit dem Ziel, die Westsahara unabhängig zu erklären. Seitdem prägen die marokkanische Besatzung, die Vertreibungen und die Erfahrungen des Exils das Gefühl der Zugehörigkeit der Sahrauis zu ihrer Nation.