Von Alida Koos und Tim Sauer
Die besetzte Westsahara verfügt über ein außergewöhnlich großes Potential für Wind- und Solarenergie. Europas Politik wirft ein Auge auf diese vielversprechende Möglichkeit, grünen Wasserstoff zu produzieren. Doch Abkommen und Partnerschaften werden nicht etwa mit der rechtmäßigen Vertretung des Volkes der Westsahara geschlossen, sondern mit der völkerrechtswidrigen Besatzungsmacht Marokko. Das zementiert Unrechte.
Spätestens seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs wachsen Bemühungen, die Energieabhängigkeit Europas und insbesondere Deutschlands von fossilem Erdgas aus Russland zu reduzieren. Allgemein sollen Energieträger und -quellen diversifiziert werden. Dabei feiert eine alte Idee wieder Renaissance: erneuerbare Energie aus den Wüsten der Welt. Wegen ihres schier unermesslichen Potentials an Solar- und Windenergie rückt unter anderem auch die Maghreb-Region in den Fokus.
Anders als bei vorherigen Plänen wie etwa dem Desertec-Projekt soll die Energie nicht elektrisch über Hochspannungsleitungen fließen, sondern soll in erster Linie in Form von grünem Wasserstoff nach Europa gelangen. Aus den zuvor begangenen Fehlern seien Lehren gezogen worden, wird allseits beteuert. Kritisiert wurde in der Vergangenheit vor allem der neo-koloniale Ausbeutungscharakter solcher Projekte in der Maghreb-Region, die allein auf die Befriedigung der
Bedürfnisse Europas ausgelegt waren.
Nun drängen sich jedoch Fragen auf, ob die neuen Wasserstoffpläne einen grundsätzlich anderen Ansatz verfolgen. Wie soll konkret verhindert werden, dass bei den vom globalen Norden diktierten Projekten koloniale Muster reproduziert und am Ende doch wieder globale Ungleichheiten und Abhängigkeiten zementiert werden?
„Grüner“ Wasserstoff aus der Wüste?
Die Idee scheint zunächst einleuchtend: Wasserstoff lässt sich über das Elektrolyseverfahren aus Wasser herstellen. Im Umkehrverfahren kann in Brennstoffzellen direkt Strom erzeugt werden, wobei lediglich wieder Wasser freigesetzt wird. Wasserstoff ließe sich ähnlich wie Erdgas über Pipelines beziehungsweise verflüssigt über Tankschiffe transportieren und soll dieses in industriellen Prozessen wie beispielsweise in der Stahlindustrie ersetzen.
„Grün“ wird Wasserstoff erst durch den Einsatz erneuerbarer Energien, wobei auch sein wohl größter Vorteil zum Tragen kommt: Die Energie aus diesen stark veränderlichen Quellen ließe sich durch die Wasserstoffproduktion dauerhaft und fast verlustfrei speichern. Im Bedarfsfall wäre sie schnell nutzbar. Da im nördlichen Afrika das Potential an Sonnenergie und insbesondere in der Westsahara an Windenergie so groß ist, gäbe es Aussicht auf niedrige Erzeugungskosten.
Trotzdem nähren sich die Zweifel an den Projekten. Diese sind einerseits technischer Natur; so ist etwa der Gesamtwirkungsgrad durch die Nutzung der ineffizienten Elektrolyse eher niedrig. Es ist auch umstritten, inwieweit der Wasserstoff wirklich ohne größere Anpassungen mit und für die bestehende Erdgasinfrastruktur nutzbar ist. Andererseits gibt es ökologische Bedenken, wenn beispielsweise in sehr trockenen Gegenden das für die Herstellung von Wasserstoff nötige Süßwasser verwendet beziehungsweise aus Meerwasser energieintensiv in Entsalzungsanlagen gewonnen werden muss.
Nicht zuletzt geht es aber auch um Fragen, die sich kritisch mit machtpolitischen und sozialen Umständen und Auswirkungen solcher Projekte auseinandersetzen. Wer entscheidet darüber, welche Projekte umgesetzt werden und wer profitiert von ihnen? Wer wird daran beteiligt, wessen Interessen berücksichtigt und verfolgt? Ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich oder läuft es letztendlich darauf hinaus, den globalen Süden in kolonialem Stil als billige Energiequelle zu nutzen, zu dessen Legitimierung wieder das Narrativ der „Entwicklung“ bemüht wird?
Viele dieser Vorhaben stecken bisher noch im Stadium von gemeinsamen Absichtserklärungen, wie etwa die 2020 unterzeichnete deutsch-marokkanische Wasserstoffinitiative zur Förderung des „Power to X“-Sektors im Kontext der bilateralen Energiepartnerschaft PAREMA . Auch das Ende 2022 unterzeichnete Green Partnership-Abkommen zwischen der EU und Marokko als erstes seiner Art mit einem EU-externen Staat geht in diese Richtung. Allerdings gibt es auch bereits laufende Projekte mit deutscher Beteiligung, wie etwa ein Forschungsprojekt in Marokko, das die Herstellung von grünem Wasserstoff und Ammoniak in Zusammenarbeit mit einem Fraunhofer Institut untersuchen soll.
Marokko wirbt relativ erfolgreich um internationale Kooperationsprojekte im Bereich der erneuerbaren Energien. Von Europa wird das Land als vermeintlich verlässlicher Partner in Nordafrika gesehen, nicht zuletzt auch wegen seiner vermeintlichen Rolle im Kampf gegen internationalen Terrorismus und bei der Abschottung der EU gegenüber Migrationsbewegungen.
Der „verlässliche“ Partner begeht Völkerrechtsbruch
Grüne Wasserstoffprojekte mit Marokko sind jedoch insbesondere im Hinblick auf die besetzte Westsahara hochproblematisch. Seit dem Abzug der Truppen der ehemaligen Kolonialmacht Spanien 1975 hält Marokko das Territorium unter einer völkerrechtswidrigen Militärbesatzung. Gezielt verwickelt es internationale Kooperationspartner in die Ausbeutung von dessen Ressourcen. Der Anspruch Marokkos auf das Territorium wurde unter anderem vom Internationalen Gerichtshof abgewiesen. Das Recht auf Selbstbestimmung der Sahrauis, dem Volk der Westsahara, wurde dagegen in unzähligen Urteilen und UN-Resolutionen wieder und wieder bestätigt.
Die Ausbeutung natürlicher Ressourcen wie Phosphat oder Fischereierzeugnisse aus den Gewässern vor der Küste der besetzten Westsahara spielt eine entscheidende Rolle für die Aufrechterhaltung der völkerrechtswidrigen Besatzung. Einerseits sind die Ressourcen ein wichtiger finanzieller Faktor für die Aufrechterhaltung der Besatzung und die Siedlungspolitik der Besatzungsmacht. Andererseits sind sie ein Mittel, internationale Akteure durch Beteiligung an der Ausbeutung zur Unterstützung und Anerkennung der Annexion zu bewegen. Außerdem zögert Marokko nicht, solche Projekte als Druckmittel gegenüber seinen Partnern zu instrumentalisieren, wenn es um seine illegitimen Ansprüche auf die Westsahara geht. Während der letzten diplomatischen Krise ab März 2021 zwischen Deutschland und Marokko hat das Königreich beispielsweise die geplante Wasserstoff-Kooperation kurzerhand auf Eis gelegt. Aufgetaut wurde diese erst wieder, nachdem Deutschland nach dem Regierungswechsel im Dezember selben Jahres plötzlich Marokkos Pläne für die Westsahara lobte. So kann Wasserstoffdiplomatie auch aussehen.
Auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien, der seit einiger Zeit vom marokkanischen Königshaus in großem Umfang betrieben wird, spielt die besetzte Westsahara eine entscheidende Rolle. Vor allem das Windenergiepotential ist in der besetzten Westsahara deutlich größer als in Marokko selbst. Dies spiegelt sich auch in den voraussichtlichen Erzeugungskosten des Wasserstoffs wider: Marokkanische Wissenschaftlicher*innen gehen in einer im März 2023 veröffentlichten Studie von ungefähr drei mal niedrigeren Kosten in der Westsahara im Vergleich zu Marokko aus. Ebenso ist ein großer Teil der bereits bestehenden und geplanten Wind- und Solarparks auf völkerrechtswidrig besetztem Gebiet verortet. Die Parallelen zu den Wasserstoffplänen werden offensichtlich: Auch hier sind es maßgeblich europäische Unternehmen wie Siemens Energy und Enel, die in Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht Energieinfrastruktur auf besetztem Gebiet errichten und so von der völkerrechtswidrigen Ausbeutung profitieren.
Vor Ort profitiert fast ausschließlich eine lokale Elite von den Projekten, beziehungsweise streng genommen eine externe Elite: Betreiber der Energieparks in der Westsahara und direkter Handelspartner von Siemens Energy und Co. ist das Unternehmen Nareva, das sich im Privatbesitz des marokkanischen Königs befindet. Die Sahrauis selbst haben keinen Zugang zu Projekten auf ihrem rechtmäßigen Territorium, vor allem jene nicht, die in den Geflüchtetencamps in Algerien leben, seit sie vor der Invasion Marokkos flohen. Die weiterhin in der Westsahara unter Besatzung lebenden Sahrauis sehen sich stattdessen massiven Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungsmacht ausgesetzt.
Marokko nutzt die Nische
Ausländische Investitionen für den Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur sind wirtschaftliches Kalkül Marokkos, um zukünftig und in Kombination mit anderen erneuerbaren Energieträgern wettbewerbsfähig auf dem globalen Energiemarkt zu sein. Diese „grünen“ Energien sind aber vor allem außenpolitische Werkzeuge. Sie geben dem marokkanischem König Mohammed VI Rückenwind, seinen Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent und den Zugang zu westafrikanischen Märkten weiter auszubauen. Wasserstoffdiplomatie, eine sogenannte diplomatische Nische, hat das Königreich erfolgreich identifiziert und ist bestrebt, diese zu besetzen. Die nationale Wasserstoffstrategie und der Export der resultierenden Expertise sind dabei integrale Bestandteile des diplomatischen Strippenziehens.
Noch wichtiger jedoch ist, dass solche Energieprojekte eine erstklassige Möglichkeit bieten, Marokko international als vermeintlichen Vorreiter in der globalen Energiewende zu positionieren. Dass diese Position zum Großteil auf das Potenzial für Wind- und Solarenergie der besetzten Westsahara zurückzuführen ist, wird selbst von UN-Organen wie dem Sekretariat des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC) regelmäßig unterschlagen. Dieses hat keine Einwände, dass Marokko die Energieinfrastruktur der Westsahara als Teil seiner Bemühungen zur Begrenzung des Klimawandels verkauft.
Dagegen protestieren die Sahrauis regelmäßig, wie auch im Rahmen der Klimakonferenz 2022 in Ägypten. Die Sahrauis wenden sich aber auch direkt gegen das Engagement der internationalen Unternehmen und haben durch ihre UN-anerkannte Vertretung Frente Polisario sogar erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Europäische Union eingelegt.
Der entscheidende Punkt bei all’ diesen Abkommen und Projekten ist, dass sie ohne die Zustimmung des sahrauischen Volkes durchgeführt werden. Der Europäische Gerichtshof hat wiederholt genau diese Zustimmung zur Bedingung für die Legalität von Wirtschaftsabkommen mit Marokko gemacht, wenn diese die Westsahara miteinschließen. Da diese bei den EU-Abkommen genauso wenig erfolgt ist wie bei den Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien, wurden die Abkommen vom Gerichtshof annulliert. Der Hauptkritikpunkt des neo-kolonialen Charakters der Projekte lässt sich auf die angeblich grünen Wasserstoffpläne projizieren: Es werden schlichtweg die Bedürfnisse und der Wille der direkt betroffenen Menschen der Westsahara nicht berücksichtigt.
Klimagerechtigkeit und die Wahrung des Völkerrechts
Die Auslagerung der Energieprobleme Europas durch die Produktion von grünem Wasserstoff im Maghreb scheint also nur auf den ersten Blick saftig grün. Bei genauerem Hinsehen trübt sich das Bild und zeigt, dass Wasserstoffprojekte unweigerlich mit Fragen rund um Klimagerechtigkeit im Rahmen der globalen Energiewende zusammenhängen und eng mit Dekolonisierung verzahnt sind. Für die deutschen Unternehmen und Politik scheint das Versprechen auf Profite und billige Energie Grund
genug, um völkerrechtliche Prinzipien zu ignorieren und die Augen vor der eigenen Verstrickung in brutale Besatzungen wie die der Westsahara zu verschließen. Für zukünftige Projekte zur Produktion von „grünem Wasserstoff“ lässt dies nichts Gutes erwarten.
Das Netzwerk Western Sahara Resource Watch (WSRW) setzt sich dafür ein, dass in der Westsahara keine wirtschaftlichen Aktivitäten ohne die explizite Zustimmung der Sahrauis durchgeführt werden. WSRW engagiert sich dafür, dass alle an derartigen Projekten beteiligten Unternehmen sich aus der Westsahara zurückziehen, da deren Aktivitäten eine mit dem Selbstbestimmungsrecht in Einklang stehende Lösung des Konflikts untergraben. Zu diesem Zweck führt WSRW unabhängige Recherchen durch und dokumentiert die internationale Beteiligung an der Ressourcenausbeutung der Westsahara, der letzten Kolonie Afrikas.
[Die Autor*innen]
Alida Koos engagiert sich aktivistisch und akademisch seit fünf Jahren in Solidarität mit den Sahrauis. Sie arbeitet hauptsächlich zu den Themenfeldern Migration und Gender und ist seit 2020 bei WSRW aktiv.
Tim Sauer engagiert sich seit mehr als zehn Jahren in Solidarität mit den Sahrauis für Aufklärung über die Rolle Europas im Westsaharakonflikt. Er ist seit 2017 bei WSRW aktiv und beschäftigt sich insbesondere mit den wirtschaftlichen Aktivitäten deutscher Unternehmen in der Westsahara.