Bozen, Göttingen, 7. Mai 2025

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zeigt sich angesichts der anhaltenden Gewalt gegen die alawitische Bevölkerung im Westen Syriens und die Angriffe auf die drusische Glaubensgemeinschaft im Süden des Landes alarmiert. Die Menschenrechtsorganisation fordert die neue Bundesregierung und das Auswärtige Amt auf, sich für ein Ende der Gewalt einzusetzen.
„Angehörige von Minderheiten in Syrien haben große Angst, dass die Gewalt gegen sie weiter eskaliert. Drusen, Alawiten, Christen und Kurden werden seit der Machtübernahme von al-Scharaa gezielt angegriffen. Sie werfen dem neuen Machthaber in Damaskus vor, diese Angriffe zu veranlassen“, berichtet Dr. Kamal Sido, Nahostreferent der GfbV, der sich derzeit auf einer Recherchereise in der Region befindet und dabei auch das Drusengebiet im Süden des Landes besuchte.
„Das drusische Kernland im Süden des Landes ist faktisch von allen Seiten belagert. Es wird immer schwieriger, Lebensmittel, Medikamente, Benzin oder Diesel in die Region zu transportieren“, warnt der Nahostreferent. „Als ich Anfang April im Drusengebiet war, war die Lage noch verhältnismäßig stabil. Ende April griffen Islamisten die Drusen im Süden von Damaskus an. Hätten die Drusen keine Waffen gehabt, wären ihre Frauen und Kinder den Islamisten ausgeliefert gewesen.“ Bei den Angriffen kamen laut Schätzungen mindestens 100 Angehörige der drusischen Minderheit ums Leben. Hunderte Drusen wurden verletzt oder werden vermisst.
Für die aktuellen Angriffe auf die Drusen sei ein falscher Vorwand genutzt worden. „Für die Angriffe sind die Milizen der neuen islamistischen Regierung verantwortlich. Das Ziel der Angriffe ist, den Widerstand der Menschen gegen die Errichtung eines islamischen Gottesstaates in Syrien durch al-Scharaa und seine Milizen zu brechen“, so Dr. Sido.
Auch die Angriffe auf die alawitische Minderheit im Westen des Landes dauern an. Mindestens 30.000 Menschen wurden getötet, Zehntausende wurden verletzt, weitere Zehntausende gelten als vermisst. Auch rund 1000 alawitische Frauen sollen verschleppt worden sein. Es wird befürchtet, dass diese Frauen versklavt oder mit ausländischen Islamisten in den Reihen der syrischen Milizen zwangsverheiratet werden.
„Die neuen syrischen Machthaber arbeiten weiter darauf hin, ein islamistisches Regime zu etablieren. Die Ernennung eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers und Anführers einer islamistischen Miliz als Befehlshaber einer Armeedivision ist ein klares Warnsignal“, sagt der Menschenrechtler. Al-Scharaa hat nach Angaben der in Großbritannien ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) Ahmad Hassan Fayyad Al-Hayes, der auch unter dem Namen Hatem Abu Shaqra bekannt ist, zum Befehlshaber einer Armeedivision im Nordosten Syriens ernannt. Dem Anführer der islamistischen Miliz Ahrar-Al-Sharqiya-Fraktion wird unter anderem vorgeworfen, die Hinrichtung der kurdischen Politikerin Hevrin Khalaf und ihrer Begleiter am 12. Oktober 2019 im Nordosten Syriens persönlich ausgeführt zu haben. Aus diesem Grund haben die USA ihn auf eine Sanktionsliste der Vereinigten Staaten gesetzt. „Die Ernennung von Al-Hayes wird von vielen Kurden als Kriegserklärung der neuen syrischen Machthaber verstanden“, berichtet Dr. Sido.