Von Wolfgang Mayr

Dem Krieg zwischen dem türkischen Staat und der PKK sind mehr als 40.000 Menschen zum Opfer gefallen. Zehntausende wurden vertrieben. Tausende Dörfer zerstört. Die Parteien der Kurden wurden drangsaliert, ihre Köpfe unter konstruierten Vorwänden inhaftiert, gewählte Bürgermeister kurzerhand abgesetzt.
Im Nachbar-Land Syrien “betreibt” die Türkei mit ihren islamistischen Milizen eine Politik der verbrannten Erde.
Türkische Armee und Islamisten besetzten die kurdischen Enklave Afrin, vergewaltigten, ermordeten und vertrieben, raubtes kurdisches Eigentum. Seit Jahren attackiert die türkische Armee die selbsterklärte Autonomie-Region Nord-Syrien. Auch im Nord-Irak, im dortigen kurdischen Autonomie-Gebiet, operieren türkische Sicherheitskräfte.
Öcalan für Frieden
Die Kurd:innen, ob in der Türkei, in Syrien und im Irak, stehen mit dem Rücken an der Wand. Terrorisiert vom türkischen Staat. Trotzdem sagte sich PKK-Gründer Öcalan vom bewaffneten Widerstand los, vom Terror und sprach sich für die Auflösung der PKK aus. Öcalan regte Friedensverhandlungen mit der Türkei an.
Was bleibt ihm auch schon anderes übrig. Seit mehr als 26 Jahren ist Öcalan inhaftiert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kritisierte 2005 den Prozess gegen Öcalan als “unfair”. Türkische Gefängnisse haben wenig mit einem europäischen Strafvollzug zu tun. Seine “historische Erklärung”, die von PKK nahen Organisationen als Chance für Frieden und Demokratie bejubelt wurde, wird wohl auch ein Versuch sein, endlich aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Wen wundert’s?
Kurden in der Türkei begrüßten die Öcalan-Erklärung, auch die USA, Deutschland, die UNO, ebenso die angeblichen PKK-Ableger in Nord-Syrien. Diese denken aber gar nicht daran, sich aufzulösen. Die nordsyrischen Kurden wären dann wohl der türkischen Aggression schutzlos ausgeliefert. Ihre Skepsis ist mehr als begründet. Kürzlich ließ die türkische Regierung den Bürgermeister von Qaxizman (tr. Kağızman) absetzen. Die Türkei scheint gar nicht daran zu denken, auf die Kurden einzugehen.
Skeptische GfbV
Auch Kamal Sido von der GfbV misstraut der Türkei. Er geht davon aus, dass ernsthafte Verhandlungen mit Türkei unwahrscheinlich sind. Denn, sagt Sido, Frieden braucht zwei Seiten: “Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass die Türkei das Minimum an Rechten für die Kurden akzeptiert: die Freilassung aller politischen Gefangenen, die Gleichstellung der kurdischen Sprache mit der türkischen und eine autonome Selbstverwaltung in und für Kurdistan“, schreibt Sido in der Presseerklärung der GfbV. Die “kurdische Frage” zählt seit den GfbV-Gründungstagen zu den Schwerpunkten der Menschenrechtsarbeit.
„Im Gegenteil, die Türkei versucht mit allen Mitteln, eine Autonomie für Kurden auch in Syrien mit Bomben zu zerstören. Erdoğan fühlt sich dabei durch die Unterstützung der NATO und des internationalen sunnitischen Islamismus gestärkt. Er will den Krieg und die Gewalt gegen die Kurden innerhalb und außerhalb der Türkei fortsetzen“, warnt der Nahostreferent der GfbV.
Antikurdischer Staat Türkei
Sido erinnert daran, dass die Kurden, einschließlich PKK und Abdullah Öcalan, seit 1992 immer wieder einseitige Waffenstillstände erklärten und ihre Bereitschaft zeigten, den bewaffneten Kampf aufzugeben. Entsprechende Reaktionen des türkischen Staates sind ausgeblieben, stattdessen verschärfte die Türkei ihren Krieg gegen die Kurden. Sido spricht von durchgeführten Massenmorden und Massenverhaftungen von Kurden, von der Verhaftung von Volksvertretern und Journalisten.
Der türkische Staat ging auch gegen kurdische Parteien vor, sie wurden verboten, gewählte Bürgermeister abgesetzt. Kurdische Persönlichkeiten im Exil fielen türkischen Anschlägen zum Opfer. Der türkische Staat schüchtert seine kurdische Bevölkerung mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln ein.
Trotzdem begrüßt Kamal Sido, Kurde aus dem türkisch besetzten Afrin in Nord-Syrien, den Schritt des PKK-Gründers Öcalan: „Nun will er wieder versuchen, einseitig Frieden zu schließen. Dieser Versuch, miteinander zu reden, ist tausendmal besser als weiter aufeinander zu schießen,” bekennt sich Sido zur Abrüstung im Konflikt zwischen dem türkischen Staat und Kurdistan. Aber das Problem bleibt, ergänzt Sido: “Die Türkei schießt weiter aus der Luft und vom Boden aus und sie wirft jeden Kurden ins Gefängnis, der sich für Freiheit und Frieden in Kurdistan und in der Türkei einsetzt.“