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Indigene Kunst aus dem Gefängnis. Leonard Peltier: „Wenn ich male, bin ich ein freier Mann“

Von Yvonne Bangert

Ohne die Malerei wäre der indigene Bürgerrechtler und politische Gefangene Leonard Peltier vielleicht schon lange ein gebrochener Mann. Die Kunst hilft ihm, den Blick auf die Welt außerhalb der Gefängnismauern nicht zu verlieren. Sie ist sein Fenster zur Welt.

Ein altes Foto von Leonard Peltier.

Leonard Peltier (78) hat eine für seine Generation typische Biografie. Er wuchs in Armut bei seinen Großeltern väterlicherseits auf. 1953 wurde der damals Neunjährige gegen seinen Willen und den seiner Familie in ein Internat des Bureau of Indian Affairs gesteckt. Diese Institutionen dienten der Zwangsassimilierung: der erzwungenen Angleichung indigener Völker an die Mehrheitsgesellschaft unter Aufgabe ihrer eigenen Kultur.

Schon als Kind war Peltier sehr an Kunst interessiert. „Ich erinnere mich“, so heißt es auf der Homepage des Peltier Defense Committee (dt.: Peltier-Verteidigungskomitee), „dass ich mit einem Messer zu schnitzen begonnen habe, das ich im Müll gefunden und geschliffen hatte. Ich habe gezeichnet bevor ich lesen oder schreiben konnte. Ich habe in der Schule immer die Kunstklassen gewählt und war immer gut in Kunst. Kurz bevor ich verhaftet wurde, hatte ich gerade begonnen, mir selbst Malerei und den Umgang mit Farben beizubringen.“ Als Ende der 1960er Jahre die Red Power Bewegung und mit ihr das American Indian Movement entstanden, wurde auch Peltier politisch aktiv.

Einen Druck dieses Gemäldes schenkte Leonard Peltier der Gesellschaft für bedrohte Völker als Dank für ihren jahrzehntelangen Einsatz für seine Freiheit und Gerechtigkeit. Foto: © Leonard Peltier.

Leonard Peltier und die Welt der Kunst

Peltier wurde am 6. Februar 1976 in Kanada festgenommen und in die USA abgeschoben. In einem fragwürdigen Prozess wurde er verurteilt, für den Tod zweier FBI-Agenten während einer Schießerei im Reservat Pine Ridge, Süd Dakota, verantwortlich zu sein. Seit bald 50 Jahren kämpft er gegen dieses Urteil und für seine Freiheit. Zahlreiche prominente Künstler*innen und Schauspieler*innen unterstützen die Free Peltier-Kampagne (dt.: Freiheit für Peltier) für seine Begnadigung. Die Ende 2022 verstorbene Modedesignerin Vivienne Westwood zum Beispiel schickte Models mit „Free Peltier“-TShirts auf den Laufsteg und entwarf Krawatten mit diesem Slogan.

Am 1. Dezember 2022 veröffentlichten mehr als 200 Prominente und Hollywood-Stars in der Online-Zeitung Huffington Post einen Appell an US-Präsident Joe Biden, den kranken, 78-jährigen Aktivisten für die Rechte der Native Americans endlich zu begnadigen. Sechs bekannte indigene Künstler*innen – Dallas Goldtooth, Bird Runningwater, Jana Schmieding, Sierra Teller Ornelas, D’Pharaoh Woon-A-Tai und Bethany Yellowtail – führen die Liste der Unterzeichner*innen an.

Peltier wuchs auf unter Zeichnern und Schnitzern, die er sich zum Vorbild nahm. Nach seiner Verurteilung lernte er im Bundesgefängnis Springfield/Illinois das Arbeiten mit Pastellfarben kennen, erhielt die Erlaubnis, Farben und Papier zu erwerben. Seine Motive holte er sich zwangsläufig von Fotos und aus Zeitschriften. „Man hindert uns daran, Mutter Erde selbst zu sehen, also benutzen wir schöne Bilder als Muster und wandeln sie ab. Ich möchte der Welt die Schönheit meiner Kultur zeigen, die Farben des Powwows [Treffen noramerikanischer Indigener, um die kulturelle Identität zu stärken und Wertevorstellungen zu vermitteln; Anm. d. Red.], die Tänzer, die Trommler, die Kunst. Ich möchte diese Schönheit festhalten und teilen.“

Nach seiner Verlegung nach Leavenworth/ Kansas begann er, auch mit Öl- und Acrylfarben zu arbeiten. Was er für seine Malerei braucht, muss er im Gefängnis kaufen. Alles muss beantragt und genehmigt werden. „Die Malerei ist ein Weg, auf die andere Seite der Wände und Barrieren des Gefängnisses zu reisen. Durch meine Farben kann ich bei meinem Volk sein und in Kontakt sein mit meiner Kultur, meinen Traditionen und meiner Spiritualität. Ich kann kleine Kinder in Festtracht beobachten, wie sie tanzen und lächeln, ich sehe die Ältesten im Gebet, erblicke das intensive Leuchten im Auge eines Kriegers. Wenn ich die Leinwand bearbeite, bin ich ein freier Mann.“

Ein Elder, ein indigener Ältester, sitzt augenscheinlich in einer Stadt auf einer Mülltonne. Will der Künstler die Folgen der Zwangsassimilation kritisieren? Foto: © Leonard Peltier.

Malen trotz Hindernissen

Diese Fähigkeit, das Malen, ist seit einem Schlaganfall, der ihn 1986 fast 80 Prozent der Sehfähigkeit des linken Auges kostete, stark eingeschränkt. Stoppen kann ihn das nicht. „Meine Malerei ist meine Art, mich für die starke Unterstützung der Menschen zu bedanken. So lasse ich sie wissen, dass ihre Gebete stark sind.“ Dieses Privileg wurde auch der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) zuteil. Auf seine Bitte hin schickte Peltiers Verteidigungskomitee der Menschenrechtsorganisation den Druck eines seiner
Bilder als Dank für die Unterstützung über viele Jahrzehnte. Es ist im Büro in Göttingen ausgestellt. Das Malen fällt dem alten und kranken Mann inzwischen schwer. Der Journalist Frank Hopper, Indigener aus Alaska, schrieb bereits 2015 in der Online-Zeitung Indian Country Today: „In dem Hochsicherheitsgefängnis in Coleman, Florida, sitzt ein 71-jähriger Indigener an einer Staffelei. Sein Rücken schmerzt so sehr, dass es ihm schwerfällt, sich zu bewegen. Er braucht jemanden, der ihn bei den ersten Schritten unterstützt. Er trägt sorgfältig Farbe auf die Leinwand auf und langsam werden Bilder von Lakota-Kriegern und -Ältesten und Szenen aus der Geschichte seines Volkes lebendig. Der Künstler heißt Leonard Peltier und in seinen Gedanken sind die Bilder ein Tor zur Außenwelt, in die Welt der freien Menschen, in die seine Kreativität aus fast 40 Jahren Gefangenschaft entfliehen kann.“ Aus diesen 40 sind mittlerweile fast 50 Jahre geworden.

[Die Autorin]
Yvonne Bangert war bis zu Beginn ihrer Rente im Jahr 2022 Referentin für indigene Völker bei der Gesellschaft für bedrohte Völker. Jetzt setzt sie ihr Engagement ehrenamtlich fort und unterstützt die Menschenrechtsorganisation inklusive der Für Vielfalt-Redaktion mit ihrer Expertise.

[Info]
Übersetzungen der Zitate aus den amerikanisch-englischen Originalquellen sind freie Übersetzungen der Autorin. Die Werke von Leonard Peltier wurden uns von dem Künstler dank freundlicher Vermittlung der Leonard Peltier Support Group zur Verfügung gestellt.

[Zum Weiterlesen]
Mehr über das jahrzehntelange Ringen um Leonard Peltiers Freiheit und das Engagement seiner Unterstützer*innen können Sie in Ausgabe 325 dieser Zeitschrift nachlesen. Mehr über die Hintergründe zu Peltiers Verhaftung erfahren Sie zum Beispiel auf der Webseite der Leonard Peltier Support Group: www.leonardpeltier.de oder im Podcast des GfbV-Beiratsmitglieds Claus Biegert: https://soundcloud.com/user-446412134/sets/free-peltier