Bozen, Göttingen, 28. Oktober 2025
Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) warnt vor den Wahlen in Tansania am 29. Oktober vor einer drohenden Verschlechterung der Lage der Maasai. Seit Monaten häufen sich laut Angaben der Menschenrechtsorganisation Berichte über Zwangsumsiedlungen, Repressionen und politische Ausgrenzung der indigenen Gemeinschaft. „Nach dem Ausschluss führender Oppositionskandidaten und -parteien von den Wahlen ist zu erwarten, dass Präsidentin Samia Suluhu Hassan im Amt bleibt. Die zunehmende Kontrolle der Regierung über Opposition und Zivilgesellschaft droht die Situation der Maasai weiter massiv zu verschlechtern“, warnt Laura Mahler, GfbV-Referentin für Subsahara-Afrika.
„Die tansanische Regierung treibt mit staatlicher Gewalt und wirtschaftlichem Zwang die Vertreibung einer ganzen indigenen Gemeinschaft voran. Deutschland darf hier nicht tatenlos zusehen“, erklärt Mahler. Die Massai leben seit Jahrhunderten als halbnomadische Viehzüchter in den Regionen Loliondo, Serengeti und Ngorongoro. Nun werden sie durch wirtschaftliche Druckmittel und eine seit vier Jahren andauernde Blockade sozialer Dienstleistungen aus ihrem angestammten Land vertrieben. Der Schulbetrieb und die Gesundheitsversorgung wurden eingestellt, Weideland unzugänglich gemacht und Vieh beschlagnahmt. Die Regierung bezeichnet die Vertreibung als „freiwillige“ Umsiedlung.
Maasai-Anwalt kritisiert Vertreibung unter Deckmantel des Naturschutzes
„Die Beschlagnahmung von Vieh zielt darauf ab, die Menschen von ihrem angestammten Land zu vertreiben. Unser Volk wird vertrieben, damit andere Menschen Tourismusunternehmen gründen können. Und all dies geschieht unter dem Deckmantel des Naturschutzes“, kritisiert der Maasai-Anwalt Joseph Oleshangay. „Dieses Land zu schützen, ohne die Massai einzubeziehen, bedeutet, Ungerechtigkeit in ein grünes Gewand zu kleiden“, fügt Oleshangay hinzu, der 2023 den renommierten Weimarer Menschenrechtspreis verliehen bekam.
Im August 2024 protestierte die Maasai-Gemeinschaft sechs Tage lang in Ngorongoro und blockierte eine Touristenstraße, um die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zu lenken. Da die Demonstrationen das Tourismusgeschäft bedrohten, versprach Präsidentin Samia Suluhu Hassan zwei Untersuchungskommissionen, um die Situation zu überprüfen. Die Ergebnisse der beiden Kommissionen bleiben jedoch bis nach den Wahlen unter Verschluss. „Derzeit gibt es immer mehr Berichte über staatliche Gewalt gegen die Maasai. Ranger vertreiben Viehhirten, zerstören Behausungen und verweigern den Zugang zu Wasserquellen. Es werden absichtlich Brände gelegt, um Weideland unbrauchbar zu machen. Das hat für die Menschen in der Region und dort lebende Wildtiere katastrophale Folgen“, berichtet Mahler. Die Situation habe zu einer Zunahme der Armut unter den Maasai geführt.
„Die Beschlagnahmung unseres Viehs hat uns unseren Seelenfrieden genommen, unsere Lebensweise und unsere Zukunft zerstört. Unsere Rinder sind unser Leben und unser Stolz. Sie ernähren uns, ermöglichen unseren Kindern eine Ausbildung und versorgen unsere Familien. Ohne sie stehen wir mit leeren Händen und gebrochenen Herzen da“, so Naipanoi Ntutu, Maasai-Aktivistin aus Loliondo.*
„Wir gehen davon aus, dass sich die Situation nach den Wahlen weiter verschlechtern wird“
Gleichzeitig schränkt die Regierung politische Freiheiten massiv ein: Der Livestream des Hochverratsprozesses gegen Oppositionsführer Tundu Lissu wurde verboten, und die Partei CHADEMA berichtet von Entführungen ihrer Mitglieder. „Für uns Massai wird das Leben unter den Regierungsmaßnahmen von Tag zu Tag schwieriger. Unsere Traditionen und unser Zusammenhalt geraten zunehmend unter Druck. Immer mehr Menschen sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen – viele werden nicht zurückkehren“, so Ntutu. „Wir gehen davon aus, dass sich die Situation nach den Wahlen weiter verschlechtern wird.“
„Die Regierung, die die Armee einsetzt, um Menschen zu vertreiben, die Naturschutzorganisationen, die die Vertreibung indigener Gemeinschaften moralisch rechtfertigen, und internationale Geldgeber, die die Vertreibung als Maßnahmen zum Schutz der Artenvielfalt bezeichnen, sind Komplizen bei der Vertreibung der Maasai“, kritisiert Oleshangay. „Wenn Naturschutzprojekte Waffen brauchen, um erfolgreich zu sein, sind sie bereits gescheitert.“
Bundesregierung muss Entwicklungszusammenarbeit überprüfen
Die GfbV fordert die Bundesregierung auf, sich entschieden für den Schutz der Maasai einzusetzen und ihre Entwicklungszusammenarbeit mit Tansania einer unabhängigen Menschenrechtsprüfung zu unterziehen. „Fördermittel dürfen keine Projekte unterstützen, die Vertreibungen oder Landraub fördern. Deutschland muss seine Außenpolitik an Menschenrechten, nicht an wirtschaftlichen Interessen ausrichten“, so Mahler. „Wenn Geld ohne Moral fließt, wird Naturschutz zu einer weiteren Form des Kolonialismus“, fügt Oleshangay hinzu.
Zugleich appelliert die GfbV erneut an deutsche Akteure wie die Frankfurter Zoologische Gesellschaft und Volkswagen, ihre Aktivitäten in Tansania zu überprüfen und auszusetzen, solange Menschenrechtsverletzungen andauern. „Wer dort arbeitet, darf nicht wegsehen, wenn Maasai für Tourismus- oder Kohlenstoffprojekte vertrieben werden“, so Mahler.