Bozen, Göttingen, 18. Dezember 2025
Die Entscheidung der bolivianischen Regierung, Treibstoffsubventionen über Nacht abzuschaffen, wird vor allem indigene Gemeinschaften und andere marginalisierte Bevölkerungsgruppen treffen, befürchtet die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV). Trotz angekündigter sozialer Ausgleichsmaßnahmen sieht die Menschenrechtsorganisation ein erhebliches Risiko für soziale Unruhen und neue Proteste.
Die Entscheidung ist Teil eines umfassenden wirtschaftspolitischen Maßnahmenpakets, das auch unter erheblichem internationalem politischem Druck umgesetzt wird. Die bolivianische Regierung erklärte den wirtschaftlichen, finanziellen und sozialen Notstand, lockerte Import- und Devisenregeln, hob staatliche Kontrollen auf und setzte auf eine schnelle Liberalisierung zentraler Wirtschaftsbereiche, wie sie häufig im Zusammenhang mit Kreditvereinbarungen internationaler Finanzinstitutionen – insbesondere des Internationalen Währungsfonds (IWF) – gefordert werden.
„Erfahrungen aus Ländern wie zuletzt in Panama und Ecuador zeigen, dass solche Preissteigerungen massive Proteste auslösen können. Auch in Bolivien besteht die reale Gefahr sozialer Unruhen“, warnt Jan Königshausen, GfbV-Referent für Indigene Völker. Zwar habe die Regierung Ausgleichsmaßnahmen wie die Anhebung des Mindestlohns und Bonuszahlungen angekündigt, doch diese greifen nach Einschätzung der GfbV zu kurz. „Ein einmaliger Bonus von 200 Bolivianos – etwa 25 Euro – und eine moderate Erhöhung staatlicher Sozialleistungen stehen in keinem Verhältnis zu dauerhaft steigenden Kosten für Transport, Lebensmittel und Energie“, erklärt Königshausen. „Ein großer Teil der Bevölkerung arbeitet im informellen Sektor und profitiert weder von Mindestlohnerhöhungen noch von lohnabhängigen Ausgleichszahlungen.“
Besonders dramatisch seien die Auswirkungen für indigene Gemeinschaften im Amazonasgebiet und in abgelegenen Regionen, die oft ausschließlich über Flüsse erreichbar sind. „Wenn die Transportkosten explodieren, wird der Zugang zu Lebensmitteln, Medikamenten und anderen lebensnotwendigen Gütern für diese Gemeinschaften massiv eingeschränkt“, warnt Königshausen. Gleichzeitig erschwere die Verteuerung des Transports den Verkauf eigener Produkte, wodurch ganze Gemeinschaften wirtschaftlich isoliert würden.
Die GfbV warnt vor einer Kettenreaktion steigender Preise, wachsender Armut und sozialer Spannungen. „Ohne gezielte, inklusiv gestaltete Ausgleichsmaßnahmen drohen die Reformen bestehende Ungleichheiten weiter zu verschärfen und die indigene, bäuerliche und verarmte Bevölkerung noch weiter an den Rand der Gesellschaft zu drängen“, so Königshausen. Das Konfliktpotenzial sei erheblich und könne sich – wie in anderen Ländern der Region – rasch auf der Straße entladen.