Bozen, Göttingen, 27. Mai 2025

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) kritisiert die geplante Verleihung des Internationalen Karlspreises an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen scharf. Die Auszeichnung, die am 29. Mai 2025 im Krönungssaal des Aachener Rathauses verliehen werden soll, würdigt unter anderem von der Leyens Rolle beim europäischen Green Deal und ihre Führungsstärke in Krisenzeiten. Die Ehrung steht der Menschenrechtsorganisation zufolge im Widerspruch zu den negativen Auswirkungen ihrer Politik auf indigene Gemeinschaften und das Weltklima. Die GfbV fordert das Karlspreis-Direktorium daher auf, den Preis nicht an die EU-Kommissionspräsidentin zu verleihen.
„Unter der Führung von Ursula von der Leyen hat die EU zwar mit Initiativen wie dem EU-Lieferkettengesetz zunächst einige Schritte in die richtige Richtung gemacht, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung in globalen Lieferketten entgegenzuwirken. Doch aktuell erleben wir eine besorgniserregende Kehrtwende: Dem Lieferkettengesetz sollen alle Zähne gezogen werden, was die Rechte jener gefährdet, die am meisten Schutz brauchen“, sagt Jan Königshausen, GfbV-Referent für Indigene Völker. „Für Europas Energiewende und billige Rohstoffe werden im Globalen Süden systematisch Menschenrechte verletzt und Ökosysteme zerstört. Besonders betroffen sind indigene Gemeinschaften: Ihre Territorien werden enteignet und zu Naturschutzgebieten deklariert – ohne Mitbestimmung oder Ausgleich. Sie verlieren nicht nur ihr Land, sondern die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben.“ Auch Infrastrukturprojekte wie Staudämme seien starke Eingriffe in ihre Lebenswelt. Was als klimafreundlicher Fortschritt verkauft werde, bedeute für viele Indigene Völker Verdrängung, Armut und Umweltzerstörung.
Der Abbau „grüner“ Rohstoffe wie Lithium und Kupfer in indigenen Gebieten erfolge meist ohne die freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) der betroffenen Gemeinschaften – und ohne angemessene Entschädigung. Auch durch die Nutzung von Wäldern als CO2-Ausgleichflächen würden indigene Gemeinschaften aus ihren Lebensräumen verdrängt. „Solche Scheinlösungen im Namen des Klimaschutzes helfen vor allem der Wirtschaft – während Menschenrechte und echte Nachhaltigkeit auf der Strecke bleiben. Die Rechnung zahlen indigene Gemeinschaften im Globalen Süden“, so Königshausen weiter.
Auch das EU-Mercosur-Abkommen, das von der Leyen vorantreibt, kritisiert die Menschenrechtsorganisation: „Durch die steigende Nachfrage nach Soja und Rindfleisch geraten indigene Gemeinschaften noch stärker unter Druck, besonders in Brasilien, Paraguay und Argentinien. Trotz gegenteiliger Beteuerungen der EU wird der Amazonas zu einer geopolitischen Verwertungszone“, mahnt Königshausen. „Die Erweiterung landwirtschaftlicher Nutzflächen bringt Landkonflikte, Brandrodungen und Wasserknappheit. Wer Ursula von der Leyen für diese Politik auszeichnet, adelt den Ausverkauf indigener Rechte. Wahre Führungsstärke würde dagegen bedeuten, die Schwächsten zu schützen – und nicht, sich möglichst grün zu inszenieren.“